Beiträge
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Multidirektionale Lexik in der Diskursgeschichte des 20. Jahrhunderts
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Ritual und Experiment – Versuch einer Annäherung an die Natur
Das Verhältnis von Mensch und Natur unterliegt einem ständigen Wandel. Galt die Natur lange als bedrohlich und fremd, entwickelte sich im 16. Jahrhundert die Idee vom Menschen im Einklang mit der Natur. Eine erneute tiefgreifende Veränderung dieses Verhältnisses geht mit der Industrialisierung und rapiden Urbanisierung seit dem 19. Jahrhundert einher. Die Mensch-Natur-Beziehungen geraten aus dem Gleichgewicht und gefährden das Überleben vieler Spezies, auch die des Menschen, auf diesem Planeten. Die seit den 1960er Jahren anhaltende Umwelt-debatte konnte daran bis heute nur bedingt etwas verändern. Vielmehr scheint eine anhaltende Unfähigkeit – ein „blind spot“ – zu bestehen, sozio-ökologische Beziehungen zu unserem Lebensraum (wieder) herzustellen und zu unterhalten. Es stellt sich die dringliche Frage, wie wir uns wieder an die Natur annähern können und welche Strategien dafür hilfreich erscheinen.
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Minorities and Majorities, Marginality and Centrality. An Introduction
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Mythos Zuhören – Bemerkungen zur Diskursphänomenologie gerichteter Aufmerksamkeit
Ausgehend von der Omnipräsenz beschönigender Rede über Zuhören fragt der Essay nach dem Beziehungsgeflecht von Zuhören und Diskurs. Einem verbreiteten Mythos, in dem Zuhören isoliert als replikative Handlung verstanden wird und Unwägbarkeiten des Zuhörens systematisch überdeckt sind, wird die Annahme gegenübergestellt, dass Zuhören Sprache im Widerspruch ist und als solche konstitutiv für Diskurse und vice versa. Gefragt wird nach Möglichkeiten einer Soziolinguistik des Zuhörens und insbesondere nach einer konzeptionellen Einordnung des Zuhörens im Spannungsfeld von Positivität der Rede und Intentionalität des Zuhörens. Ich spreche von Diskursphänomenologie, ohne zu übersehen, dass damit eine auch wissenschaftshistorische Gegenüberstellung von Diskursanalyse und Phänomenologie aufgebrochen wird.
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Making a Theme Audible. Imparting Non-Discursive Knowledge in Natural Philosophy by Means of Poetry and Aphorism
Dieser Aufsatz beschäftigt sich mit Poesie als einem Instrument zur Vermittlung von Wissen in der Naturphilosophie. Es wird der erkenntnistheoretische und kulturelle Hintergrund erörtert, vor dem frühgriechische Denker wie Parmenides und Empedokles in Versen schrieben, und es wird untersucht, warum die Versform als bevorzugtes Mittel zur Vermittlung wichtiger und oft nicht-diskursiver Erkenntnisse über die Natur angesehen wurde. Es geht insgesamt darum, wie Poesie „ein philosophisches Thema hörbar“ machen sollte, um eine Einsicht hervorzurufen, die ein großes Erfahrungsfeld strukturiert. Sehr viel später finden ähnliche Überzeugungen eine (letzte) Blütezeit in Goethes Versuch, ein Naturgedicht im lukrezischen Sinne zu schreiben. Auch wenn neue Erkenntnisse vor allem aus der klassischen deutschen Philosophie auf Goethe einwirkten, zeigen seine Beweggründe, weiterhin Naturdichtung betreiben zu wollen, auffallende Kontinuitäten zu den Denkern der Antike. Der Aufsatz endet mit einer kurzen Darstellung späterer Versuche, weiterhin „philosophische Themen hörbar“ zu machen, während gleichzeitig die Fragmentierung von Wissen zunimmt.
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Why Collective Memory can never be Pluriversal. A Case for Contradiction and Abolitionist Thinking in Memory Studies
Bringing together memory studies with the emerging field of contradiction studies, in this article, I suggest the need for an alternative way of thinking about collective memory by juxtaposing the ideal of wholeness that necessarily underlies any group’s identity with that of the inevitable contradiction of the plurivers. I discuss the power of the Western narrative order in regard to the Haitian Revolution and examples of mnemonic disharmony in contemporary Germany and seek to illuminate the epistemic violence constitutive of this narrative order. The article therefore interrogates memory study’s epistemological foundation and the practices in which these underpinnings result. The aim is to highlight the potential of contradiction in an attempt to pluriversify responses to the past as well as future visions for the worlds we live in. Special attention is paid to the question of what it is we hope for when attempting to (scholarly) contribute to making collective memory more inclusive, and where the limitations of this might lie. The purpose of my contribution, then, is to explore the tacit imperative of harmony that often remains unchallenged in memory studies, and to propose a shift in focus, from the ways in which memory might help us understand (e.g., current clashes of identities), toward a research agenda that is considerate of its own entanglements with power, yet, at the same time, lives up to its potential to contribute to transformation.
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Schichten von Geschichte in aktueller Nibelungenrezeption
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Natalja Gorbanewskaja. Graphic Novel
„Sie war eine Dichterin so groß wie Joseph Brodsky und eine Menschenrechtsaktivistin so unerschrocken wie Andrej Sacharow. Im Gegensatz zu Brodsky erhielt sie jedoch nicht den Nobelpreis für Literatur, im Gegensatz zu Sacharow auch nicht den Friedensnobelpreis. Mit ihrem Namen ist aber ein in der Sowjetunion einmaliges Ereignis verbunden: Am 25. August 1968 kommt sie mit sieben weiteren jungen Menschen auf den Roten Platz, um offen gegen das Regime zu demonstrieren – und gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings durch Panzer der Sowjetunion und anderer Länder des Warschauer Paktes.“
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Philosophische Zeitfragen. Weshalb wir mit Zeit taktvoll umgehen sollten
Zeit spielt eine grundlegende Rolle im menschlichen Leben. Zu bestimmen, was ihr Wesen ausmacht, ist bekanntermassen nicht einfach – und ist vielleicht auch nicht die philosophisch interessanteste Herausforderung. Wichtiger scheint es, verschiedene Lebensbereiche zunächst auf ihre unterschiedlichen Zeitauffassungen hin zu untersuchen und sich zu fragen, wie sie sich aufeinander beziehen. Für unseren Umgang mit Zeit ist das Entscheidende: Wie lassen sich Ereignisse sinn- und taktvoll aufeinander abstimmen?
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Can a Finite Chain of Hydrogen Cyanide Molecules Model a Crystal?
When calculating structural or spectroscopic properties of molecular crystals, the question arises whether it is sufficient to simulate only a single molecule or a small molecular cluster or whether the simulation of the entire crystal is indispensable. In this work we juxtapose calculations on the high-pressure structural properties of the (periodic) HCN crystal and chains of HCN molecules of finite length. We find that, in most cases, the behavior of the crystal can be reproduced by computational methods simulating only around 15 molecules. The pressure-induced lengthening of the C−H bond in HCN found in calculations on both the periodic and finite material are explained in terms of orbital interaction. Our results pave the way for a more thorough understanding of high-pressure structural properties of materials and give incentives for the design of materials that expand under pressure. In addition, they shed light on the complementarity between calculations on periodic materials and systems of finite size.
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Radikale Demokratietheorie als Gesellschaftstheorie
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Paradoxien beim Hören
Die Auseinandersetzung mit auditorischen Merkwürdigkeiten und Ambiguitäten ist nicht nur unterhaltsam, sie ist auch ein wichtiger Treiber für die auditorische Grundlagenforschung. Der gleiche akustische Reiz kann tatsächlich auf unterschiedliche Weisen wahrgenommen werden. Wir hören eben nicht nur „mit den Ohren“, sondern diverse weitere physikalische, physiologische und auch kulturelle Faktoren spielen eine wichtige Rolle. Damit ergeben sich direkt auch breitere philosophische Fragestellungen beispielsweise zur Wahrnehmung – und auch der anhaltende Reiz von Musikstücken beruht an vielen Stellen auf solchen Ambiguitäten [13].
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Being “in-tact” and Well: Metaphysical and Phenomenological Annotations on Temporal Well-being
Das Wohlbefinden hängt nicht nur davon ab, was geschieht, sondern auch davon, wann es geschieht. Es gibt zeitliche Aspekte des Wohlbefindens, und bei diesen Aspekten geht es größtenteils um relatives Timing – darum, „in-takt“ zu sein. Einerseits gibt es einen perspektivischen Aspekt, bei dem es darum geht, mit der eigenen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft oder, in einem weniger involvierten Sinne, mit dem eigenen Leben als Ganzem in Einklang zu stehen. Andererseits gibt es einen Synchronisationsaspekt des In-Kontakt-Seins; und dieser Aspekt tritt auf verschiedenen Ebenen auf: Es kann sich um die Angleichung zwischen verschiedenen zeitlichen Bereichen handeln – etwa zwischen der individuell wahrgenommenen Zeit und der physischen oder intersubjektiven Zeit. Oder es kann sich um einen einzelnen Bereich handeln, insbesondere um die innere Dynamik der individuellen Zeit. Die Gefahr, den relationalen Charakter dieser verschiedenen Zeitbereiche nicht zu erfahren und anzuerkennen, führt wahrscheinlich zu einem erheblichen Verlust an Vielfalt in der menschlichen Erfahrung. Wichtige Aspekte des subjektiven und intersubjektiven Erlebens könnten in den Hintergrund treten. Im vorliegenden Beitrag werden diese Aspekte des Wohlbefindens anhand von Unterscheidungen und Konzepten erörtert, die in der Metaphysik und der Phänomenologie der Zeit eine wichtige Rolle spielen. Damit zielt der Beitrag auch darauf ab, die bestehende Literatur zu ergänzen, indem er wichtige Stränge der aktuellen philosophischen Forschung zusammenführt.
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Neues Wahrnehmen
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Introduction. Namwali Serpell’s The Old Drift: Disruption
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Wir wollen nicht mitreden, sondern eine andere Sprache. Sprachideologische Positionierung im Diskurs der Identitären Bewegung
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Melancholy Objects Remixed. A Multimodal Counterstatement on Photography in Urban Linguistics
The chapter discusses the use of photographs in research on Linguistic Landscape. Based on the observation of a widespread use of photographic documentation, the status of photographs is critically reflected. The focus lies on a reading of Susan Sontag’s ([1977] 2014) Melancholy Objects. Here, conceptions of description and documentation are questioned, as they are common for some linguistic works, especially in the field of Urban Studies. Of particular importance is the examination of the tension between realism and surrealism as well as the question of the extraction of reality. The text, which is a remix of Susan Sontag’s ([1977] 2014) thoughts, is complemented by twenty photographs that address the limits of photographic representation in the linguistic text.
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Geschichtsdenken in historischen Romanen über die Vormoderne
Angesichts des wachsenden Populismus und Rechtsradikalismus ist der Kampf gegen Geschichtsvergessenheit im Denken und Handeln wieder höchst aktuell. Auf den ersten Blick scheint Geschichtsvergessenheit – zumindest in Bezug auf die Vormoderne – aber kaum vorzuliegen: Mittelalter, Renaissance und Frühe Neuzeit erfahren in Romanen, Dramen und populären Medien einen Boom. Doch auch und gerade hier ist ein aktives An-Denken gegen Simplifizierungen, Mythisierungen und Verfälschungen dringend nötig. Die Beiträger*innen des Bandes zeigen, dass es für ein kritisches Bewusstsein unumgänglich ist, historische Differenz und mediale Filter wahrzunehmen und deren Effekte zu reflektieren.
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Religion im kolonialen Archiv
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Mimikry der Marginalität