Widersprüche der Erinnerungskultur. Die Realität der postmigrantischen Gesellschaft anerkennen?

Dr. Max Czollek, Dr. Katrin Antweiler (RTG Contradiction Studies), Ksenja Holzmann (Denkort Bunker Valentin), Klaas Anders (RTG Contradiction Studies)

11/06/2023 4:00 pm

Weserburg Museum für moderne Kunst, Hans Otte. Klanghaus, Teerhof 20, 28199 Bremen

Die deutsche Gesellschaft ist stark von Migrationsbewegungen und dadurch von einer Vielstimmigkeit an Vergangenheits- und Erinnerungsnarrativen geprägt und die hier lebenden Menschen stützen ihre Identitäten auf unterschiedliche kulturelle Praktiken des Erinnerns. Das sog. Kollektive Gedächtnis einer ganzen Gesellschaft ist also von jeher ein von Widersprüchen gekennzeichnetes Konstrukt, das zwar den Anschein einer kohärenten Entwicklung, ähnlich einer Biografie, zu erwecken versucht, diesem aber nie wirklich gerecht werden kann. Daher muss, um Widersprüche und die daraus eventuell resultierende Konflikt so gering wie möglich zu halten, der Inhalt eines jeden kollektiven Gedächtnisses gruppiert, sortiert und priorisiert werden.

Eine dieser in Deutschland omnipräsenten Widerspruchskonstellationen ist die Erinnerung an die Shoah, die zwischen ritualisierten „Nie Wieder“ und der Forderung nach einem „Schlussstrich“ und zwischen Aushandlungen von Schuld und Versöhnung zwar immer wieder als Musterbeispiel der Aufarbeitung genannt, aber auch mindestens genauso oft kritisiert wird.

So erklärte der Publizist und Lyriker Max Czollek die deutsche Erinnerungskultur kürzlich zu einem „Versöhnungstheater“, das zwei Rollen vorsieht: Die Täter*innen, denen vergeben wird und die Opfer, die zu vergeben haben. Die Realität der postmigrantischen Gesellschaft bringt dieses einstudierte deutsche Schauspiel jedoch durcheinander, denn längst umfasst die Gesellschaft vielschichtige Perspektiven und Biographien, die sich nicht in dieses dichotome Feld einsortieren lassen. Daher wollen wir bei dieser Veranstaltung darüber sprechen, inwiefern das Versöhnungstheater darauf abzielt, die Widersprüche der postnazisitischen Gesellschaft aufzulösen und gleichzeitig an der Realität der postmigrantischen Gesellschaft scheitert. Was das für die deutsche Erinnerungskultur in der Praxis bedeutet und welche Herausforderungen aber auch Chancen das mit sich bringt, das wollen wir diskutieren mit:

Dr. Max Czollek, Publizist und Lyriker

Dr. Katrin Antweiler (WoC & RTG Contradiction Studies)

Ksenja Holzmann (Denkort Bunker Valentin)

Moderation: Klaas Anders (RTG Contradiction Studies)

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interstice

“The contradiction of law in Derrida lies in the interstice that separates the impossibility of deconstructing justice from the possibility of deconstructing law.”

Andreas Fischer-Lescano
articulate

“Contradictions need to be articulated in order to exist.”

Martin Nonhoff
prison of difference

“‘Contradiction is the prison of difference‘ writes the French philosopher Gilles Deleuze. Worlds of Contradiction asks: how can we explain and describe the world without making it more coherent and systematic than it is?”

Michi Knecht
decolonial scholarship

“Creating decentralizing and decolonizing scholarship on contradiction, contradictory phenomena, and contradicting processes is a challenging task.”

Kerstin Knopf
Afterlife of colonialism

“Contradiction comes in many different forms. None is so debilitating than when the coloniser transitions, textually not politically, to decoloniality without taking the responsibility for the afterlife of colonialism, which they continue to benefit from. Self-examination and self-interrogation of the relations of coloniality, a necessity, seem nearly impossible for the coloniser who continues to act as beneficiary, masked in the new-found language of White fragility, devoid of an ethical responsibility of the very system of White domination they claim to be against.” (Black Consciousness and the Politics of the Flesh)

Rozena Maart