Prof. Dr. Susanne Schattenberg

Ich bin Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas sowie Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen. Meine eigenen Forschungsschwerpunkte lagen und liegen im 19. Jahrhundert bei der Verwaltungskultur Russlands, bei der Diplomatiegeschichte Russlands und der Sowjetunion, im Stalinismus, in der Zeit Chruschtschows und Breschnews. Ich habe u.a. ein Buch über Stalins Ingenieure als auch zuletzt eine Biographie von Leonid Breschnew veröffentlicht.

Als Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa betreue ich ein weltweit einmaliges Archiv mit über 600 persönlichen Nachlässen von Andersdenkenden aus der Sowjetunion. Hier steht der Widerspruch als Akt des Protests und Widerstands im Mittelpunkt. Mich interessiert, auf welche verschiedene Weisen Menschen im Staatssozialismus ihren Widerspruch zum Ausdruck gebracht haben: als eigensinnige Interpretation der Staatsnormen, als Persiflage auf den offiziellen Kulturbetrieb, als nonkonforme Schriften, Gedichte, Romane, die sie im Samisdat zirkulieren ließen, als Petitionen an Staat und Partei, die sie unterschrieben.

Was für Promotionsprojekte würde ich gern betreuen?

  • Z.B. gibt es bei uns den persönlichen Nachlass des Schriftstellers Tschingis Gusseijnov, der in seinen Tagebüchern beschreibt, dass er gern gegen das Regime protestiert hätte, aber sich nicht traute. Oder den Nachlass des Schriftstellers Juri Trifonow, der nicht als Dissident galt und veröffentlichen durfte, aber dennoch viele nonkonforme Schriftsteller*innen mit seinen kritischen Werken inspiriert hat. An diesen Figuren lässt sich gut erforschen, unter welchen strukturellen und individuellen Bedingungen Menschen bereit sind, Widerspruch zu leisten und was sie davon abhält.
  • Oder wir haben die Korrespondenz des avantgardistischen Komponisten Edison Denissow, der sich selbst nicht als Dissidenten sah. Aber seine serielle Musik stand derart im Widerspruch zu der offiziellen Musik-Norm und den Hörgewohnheiten vieler Sowjetmenschen, dass er als Nonkonformist galt und die großen Säle nicht bespielen durfte. Warum wurde seine Musik als Widerspruch gedeutet? Warum entwickelte er sie und hielt an ihr trotz aller Benachteiligungen fest?
  • Weiter gibt es das berühmte Periodikum „Chronik der laufenden Ereignisse“, das zwischen 1968 und 1983 in 63 Nummern unzensiert im Untergrund erschien. Um nicht unter den Strafparagraphen für antisowjetische Propaganda zu fallen, enthielten sich die Redakteur*innen jeden Kommentars und schilderten nur die Fakten von Strafprozessen und der Lage der Gefangenen in den Lagern. Was ist das für eine Art des konformen Nonkonformismus? Was trieb diese Frauen und Männer an, ihre Chronik über 15 Jahre fortzuführen, obwohl sie ständig vom KGB observiert, schikaniert und immer wieder verhaftet und verurteilt wurden?

Solche und andere ähnliche Promotionen möchte ich gern betreuen!

Idee demokratischer Kritik

„Wer das Widersprechen ohne das Anbieten einer besseren Lösung als widersprüchlich empfindet, hat die Idee demokratischer Kritik nicht verstanden.“

Martin Nonhoff
relational

»Zunächst dachte ich, Widerspruch ist immer eine relationale Sache; je mehr ich aber darüber nachdenke, um so eher meine ich, Widerspruch ist relationierend.«

Ingo H. Warnke
anhaltendes Widersprechen

„Die Geschichte der abendländischen Philosophie lässt sich verstehen als ein anhaltendes Widersprechen und als eine anhaltende Auseinandersetzung mit Widersprüchen.“

Norman Sieroka
Bhabha zu Aufklärung und Kolonialität

„Homi Bhabha sagt über den Widerspruch zwischen den Idealen der Aufklärung, dem Anspruch auf Demokratie und Solidarität und der gleichzeitigen Kolonisierung und andauernden Kolonialität: ‚Diese ideologische Spannung, die in der Geschichte des Westens als despotische Macht im Moment der Geburt von Demokratie und Moderne sichtbar wurde, ist noch nicht angemessen in einer widersprüchlichen und kontrapunktischen Diskurstradition beschrieben worden.‘“

Kerstin Knopf
Afterlife of colonialism

“Contradiction comes in many different forms. None is so debilitating than when the coloniser transitions, textually not politically, to decoloniality without taking the responsibility for the afterlife of colonialism, which they continue to benefit from. Self-examination and self-interrogation of the relations of coloniality, a necessity, seem nearly impossible for the coloniser who continues to act as beneficiary, masked in the new-found language of White fragility, devoid of an ethical responsibility of the very system of White domination they claim to be against.” (Black Consciousness and the Politics of the Flesh)

Rozena Maart